Lesenswertes
Das geschriebene Wort - allüberall in then Alpen
Wir lesen gerne! In dieser Kategorie stellen wir Ihnen monatlich verschiedene Romane, Krimis, Märchen, Sagen, Kurzgeschichten, Gedichte und andere literarische Sile, welche als Handlungsort die Alpen haben oder in den Alpen geschrieben wurden. Wir versuchen Ihnen eine breite Übersicht über bekannte Autoren und Autorinnen, Newcomer und zeitgenössische Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu geben. Und natürlich werden wir angeben, welche dieser Bücher eine ideale Reiselektüre abgeben könnten für Ihre nächste Reise in den Alpen.
Similaun
Haid, Hans: Similaun. Skarabaeus. 2008
Diese Mal haben wir ein sehr aktuelles Buch zur Rezension gewählt. Das Roman vom Alpenforscher Hans Haid, erschienen Februar 2008, der bereits am Buchdeckel verspricht "in einer Verbindung von alpinen und biblischen Mythen, Zeitkritik und apokalyptischen Zukunftsvisionen" von einem Schafhirten aus dem Ötztal zu berichten: Virgil.
Schafshirten werden in den letzten Jahren wohl zu einem literarischen Thema und nein, nicht solche, die im fernen Anatolien, in steppenähnlichen Gebieten Asiens oder hochtechnisierte in Neuseeland weilen, nein österreichische Schafhirten. Zu einer Zeit in denen selbst viele Österreicher kaum von der eigenen Schafzüchter-Kultur, heimischer Schafwolle, Schafskäse und Schafmilch wissen. 2006 war es Sam Apple's: "Schlepping through the Alps: My Search for Austria's Jewish Past with Its Last Wandering Shepherd" und nun besagtes "Similaun" von Hans Haid.
Similaun, der sagenumwobene Gletscher in Tirol
In den Ötztaler Alpen im südlichsten Bereich von Tirol (Österreich) liegt der Similaun ein Berg mit 3.599 Metern. Der gletscherbedeckte Berg liegt an der Grenze von Österreich und Italien, trennt Tirol von der Provinz Bozen Südtirol. Die Wortbedeutung von Similaun könnte als Abwandlung von "Sam-Alu-Ana" - "weiße Göttin Ana" sein, wobei "sam" für weiß und glänzend steht, "alu" für das Göttliche. Bekannt ist die Gegend durch einen archäologischen Fund, den man im Gletscher fand, die jungsteinzeitliche Gletschermumie ist unter dem Namen "Ötzi" geläufiger. Nahe des Similauns ist die touristische Winter-Hochburg Sölden. Um das tirolerische Sölden in Relation zu setzen: es hat nach Wien und Salzburg die meisten Nächtigungen pro Jahr, die hier vor allem auf den Wintertourismus fallen. Sölden ist nicht nur wunderschön gelegen, mit einem riesigen Skigebiet, sondern auch mit den massiven Ötztaler Alpen mit mächtigen Bergen und etlichen Gletschern und zwei ausgebauten Gletscherskigebieten, die ganzjähriges Skifahren ermöglichen.
Hans Haid, 1938 geboren, kennt sich aus bei den Sagen im Ötztal, sein Studium der Volkskunde hat er Mitte der 70iger mit einer Dissertation über das Brauchtum im Ötztal und seine tourismusbedingten Veränderungen abgeschlossen. Heimatverbunden und Naturverbunden zeigt sich sein Lebenswege: Gründer und Wegbereiter vieler Initiativen rund um Sprache, Kultur und Natur der Alpen. Er ist Mundartdichter und Bergbauer.
Dieses Buch ist eine Anklage – gegen das moderne Leben, den Massentourismus, den fehlenden Einklang mit der Natur. Wer riesige Skigebiete wie Sölden in Tirol oder auch Obertauern in Salzburg im Sommer gesehen hat, kann nachvollziehen, wie es einem Einheimischen dort geht. Ein Dorf das zur Kulisse wurde für Party, Heiterkeit und Gaudi, blitzartig viele Menschen beherbergt und in der Nebensaison einer Geisterstadt gleicht. Bei Haid liest sich das anders.
Das Lesen tut weh, die überdeutlichen Symboliken, die mannigfaltigen Wiederholungen, gleich einem Mantra, einem Rosenkranz, schmerzensreich, sehr schmerzensreich. Über 200 Seiten lesen wir Wiederholungen aus der Apokalypse, die Analogie zu alpinen Sagen von Dananä, das unter dem ewigen Eis liegt und mit Sodom und Gomorrah verglichen wird. Wegschauen geht leichter als sinnerfassend Weglesen, Überlesen. Das Buch und der Inhalt hat seine Berechtigung. Nur, für wen wurde es geschrieben? Nicht für zarte Gemüter, das steht fest: Porno, Sex, Hure erscheinen als Begrifflichkeit wohl häufiger als Schaf. Bereits das erste Kapitel legt das Thema gut dar, es folgen Wiederholungen, die teils interessantes Flickwerk bieten, aber man wünscht sich durchaus, dass dies verdichtet und annehmlicher zusammengefasst wird. Hier wurde viel recherchiert und interessante Fakten zusammengetragen. Als Vielleserin hätte ich das Buch nämlich normalerweise weggelegt und wohl nicht mal die üblichen 50 Seiten gegönnt.
Was stört: Eine allgemeine Misanthropie, die dem Buch innewohnt, sowie eine Enttäuschung und Resignation über gewaltige Staudammprojekte, weggesprengte Berge, "umgewidmetes" Weidegebiet, zugebaute Dörfer und Spektakel.
Die Frauen gibt es als Masse - oder als Wesen aus einer anderen Welt, die Saligen und Wildfrauen. Einzig in einer kurzen Erzählung bildet sich das Wesen Frau zur Schwester und Nichte des alten Hirten.
Und die Männer, sie sind in den Anklagen geile Böcke, Alpinböcke, Gletscherlüstlinge, Talbosse. Aber viel häufiger personifiziert, bekommen Charakter, ein Wesen, zuallererst in der Rolle des Protagonisten, des Hirten Virgils. Natürlich gibt es auch das mystische Wesen Rusilena, eine dieser "Wibspersonen, die den Pfarrern, nicht geheuer waren", wie die Kathry in der Schweiz, die wilde Frau von Luibis und die Saligen, die Langtüttin. Zudringliche Frauen, zu den Hirten, den Schäfern, den Bauern. Schöne Frauen, mit langen schwarzen Haaren, Ohrringen, wilden Augen, meist lebten sie allein, manche auch gemeinsam im Kristallpalast im Gletscher. Wildfrauen, unzähmbar, nackt oder in weißen Gewändern. Keine Hexe, eine Naturgöttin, eine Berggöttin - oder wie Haid es schreibt - eine Hure. Aus Sicht der Kirche böse, der Teufel höchstpersönlich, der die frommen Männer heimsucht.
03.06.2008