Lesenswertes
Das geschriebene Wort - allüberall in then Alpen
Wir lesen gerne! In dieser Kategorie stellen wir Ihnen monatlich verschiedene Romane, Krimis, Märchen, Sagen, Kurzgeschichten, Gedichte und andere literarische Sile, welche als Handlungsort die Alpen haben oder in den Alpen geschrieben wurden. Wir versuchen Ihnen eine breite Übersicht über bekannte Autoren und Autorinnen, Newcomer und zeitgenössische Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu geben. Und natürlich werden wir angeben, welche dieser Bücher eine ideale Reiselektüre abgeben könnten für Ihre nächste Reise in den Alpen.
Wiener Passion
Faschinger, Lilian: Wiener Passion. 1999
Im Roman von Lilian Faschinger entfalten sich mehrere Handlungsstränge, im Grunde ist es ein Buch im Buch. Buch 1 erzählt von der jungen Schauspielerin Magnolia Brown, die bisher vornehmlich Shakespeare darstellte und nun von einem Musical-Regisseur als potentielle Anna Freud für sein neuestes Projekt entdeckt wurde.
Soweit nichts ungewöhnliches, Magnolia Brown hat böhmische Wurzeln, ein Naheverhältnis zu Wien und ist zweisprachig aufgewachsen. Neben den böhmischen-österreichischen Wurzeln, ist sie schwarze US-Amerikanerin. Der andere Erzählstrang in Buch 1 ist von Joseph Horvath, ehemaliger Wiener Sängerknabe, dessen Mutter ihn mehr mit Mahlers Kindertotenlieder als Medizin versorgt und der sich als Gesangslehrer verdingt, wenn er nicht gerade seiner chronischen Krankheiten darniederliegt. Nein, das ist weder skurril, noch morbid genug. Im Zimmer ihrer Großtante Pia – einer nicht minder exzentrischen Persönlichkeit – findet sie die Lebensgeschichte einer Mörderin: Rosa Havelka, das zu Anfang des 20. Jahrhunderts, vornehmlich in Wien, spielt.
Das Buch ist ein Lesegenuss, was weniger an der Handlung liegt, als am Entfalten, Dahinfließen, sich winden und drehen der Erzählung. Eine wunderbare kreative Erzählerin legt gar sonderbarste Charaktere vor uns nieder, mit Klischees wird genausowenig gespart wie mit Windungen und Wendungen bis zum durchaus vorhersehbaren Schluss. In Nebenrollen erfahren wir wie das Zitherspiel in die Wiener Kanalisation gekommen ist, wir lesen von der Kaiserin Sisi, erfahren mehr über den Lebenswandel von Kronprinz Rudolph und sein Ende, Kaffeehausliteraten, Nervenheilkunde und Traumdeuterei, den Prater, Lipizzaner, den Friedhof der Namenlosen, Sängerknaben, Schönbrunn, Gloriette, Palmenhaus – ach, alles Themen, die wohl auch ein Reiseführer aufwerfen würde – aber bei weiten nicht so wunderbar bizarr. Ganz und gar nicht absurd – aber nicht ohne ironische Betrachtung – wird sowohl die unsägliche Naivität und Gottgläubigkeit von Dienstmägden und Prekarisierten der Wiener Gesellschaft im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert skizziert, sexuelle Übergriffe von Dienstherren, Ausnutzung von Hausangestellten, die vermeintliche Mischung der Kulturen in der Österreichisch-Ungarische Monarchie und die Schwierigkeiten ein Auslangen zu finden.
Als literarischer Reiseführer mit Augenzwinkern auf alle Fälle zu empfehlen.
Lilian Faschinger, 1950 in einem Dorf nahe des Ossiacher Sees in Kärnten geboren, studiert in Graz, promovierte Anglistin, zahlreiche Literaturstipendien und Preise. Vor allem ihr Roman „Magdalena Sünderin“ (1995) wurde mehrfach übersetzt. Sie lebt und arbeitet in Wien als Übersetzerin, Schriftstellerin von Gedichten, Kurzprosa und Romanen.
Bereiten Sie sich für einen leidenschaftliche Reise nach Wien vor:
15.09.2008